Jeder Baum hat eine Seele

Künstlergespräch mit Andreas Kuhnlein
Bildrechte Dekanat/Mauch

Andreas Kuhnlein (li) im Künstlergespräch mit Dekan Jochen Wilde im Evangelischen Zentrum. er erzählt wie es kommt, dass seine Skulpturen in der Mitte ein Loch haben. 


Andreas Kuhnlein ist schon ein besonderer Mensch. Er ist nicht nur „der mit der Kettensäge“, sondern er sagt was er denkt und will mit den Ausstellungsbesuchern ins Gespräch kommen. Allein schon das macht ihn als Künstler so besonders. Der aus dem Chiemgau stammende Holzbildhauer gab bei seinem ersten Künstlergespräch im Rahmen der Ausstellung „Spuren des Menscheins“ in der Passauer Sankt Anna-Kapelle und im Evangelischen Zentrum am Mittwoch, 24. Mai einen Einblick in seinen Werdegang vom Schreiner zum renommierten Holzbildhauer, seine Kunst und seinen Antrieb. Moderiert wurde der Abend von Ausstellungsleiterin des Kunstverein Passau, Christina Bielitza und in einem zweiten Teil im Evangelischen Zentrum von Dekan Jochen Wilde. 
In den 40 Jahren als Holzbildhauer ist er schon viel in der Welt herumgekommen. 300 Ausstellungen in 16 Ländern. Besonders beeindruckte ihn China, erzählt er vor rund 30 Interessierten, dort sei ihm die Bedeutung von Freiheit klar geworden. „Ich sage meine Herrgott Dankeschön, dass ich da lebe wo ich lebe“. Er habe Künstler in China getroffen, die mit Frust und Wut ihre Skulpturen bearbeiteten, weil sie nicht machen können, was sie eigentlich wollten. Die Gestaltung ihrer Kunst werde ihnen staatlich verordnet. Wie schnell Freiheit abhandenkomme und Zensur erwachse, sehe man auch in europäischen Nachbarländern.
Mit 30 Jahren kam der gelernte Schreiner durch seinen damaligen Chef zum Schnitzen. Dieser habe ihn ermutigt und seine Anfänge waren auch ganz traditionell. Die Skulptur „Großinquisitor“ sei dann die erste zerklüftete und mit der Kettensäge herausgearbeitete gewesen. „Jetzt müssen wir dich einliefern“ war die erste Reaktion seiner Frau, erzählt Kuhnlein. Aber warum das expressiv Zerklüftete? Er wolle damit drei Dinge ausdrücken: Die Brutalität des Menschen, seine Verletzbarkeit und seine Vergänglichkeit. 
In seinen Anfängen habe er auch mit Bronze und Stein gearbeitet, aber Holz sei eben sein Material. So wie bei Menschen das Alter Spuren an Körper und Gesicht hinterlasse, sei das auch bei Bäumen mit den Jahresringen. Und Holz sei wie der Mensch vergänglich und habe auch eine Seele. Nur Totholz werde von ihm bearbeitet. Noch nie habe er für eine Skulptur einen Baum gefällt.

Ikarus von Andreas Kuhnlein
Bildrechte Dekanat/Mauch

Die Skulptur“ Ikarus“ von Andreas Kuhnlein in der Ausstellung „Spuren des Menschseins“ in der Sankt Anna-Kapelle, inspiriert durch eine Radioandacht.

„Seine Skulpturen erzählen Geschichten“ stellte Ausstellungsleiterin Christina Bielitza fest. Aber woher bekomme er seine Geschichten? Zu dem ausgestellten Ikarus sei er zum Beispiel durch eine Radioandacht der ehemaligen Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die er im Autoradio hörte, inspiriert worden. Seit 40 Jahren sei der Mensch sein Thema und das werde auch so bleiben. 
So stellte auch Dekan Jochen Wilde bei der Fortsetzung des Künstlergesprächs im Evangelischen Zentrum fest, dass sein Thema „Menschsein“ ein urreligiöses sei. Deshalb gehe er mit seiner Kunst auch gerne an Orte wo das „Menschsein“ verkündet werde, antwortete Kuhnlein. Bei diesem sehr persönlichen Teil des Künstlergesprächs erzählte er auch über seine Erfahrungen, seinen Ärger, seine Wut und seinem Verhältnis zu seiner katholischen Kirche in Unterwössen, wo er auf einem Bauernhof lebt. Drei seiner besten Jugendfreunde seien missbraucht worden. In einem von ihm gestalteten Andachtsraum werde diesen Opfern gedacht.
Hier in Passau schätzt der Künstler die Ausstellungsmöglichkeiten in der Sankt Anna-Kapelle und im Evangelischen Zentrum, die Begegnung auf Augenhöhe und das umfangreiche Begleitprogramm. Nur so könne Kunst etwas in Bewegung bringen und bei den Künstlergesprächen erfahre er was von den Besuchern. Das sei ihm wichtig. Weitere Künstlergespräche im Evangelischen Zentrum werden folgen: 11. Juni und 18. Juni jeweils um 11 Uhr

Text und Fotos: Hubert Mauch