Zwei Kirchen, ein Thema

Tagung Diözesanrat und Dekanatssynode
Bildrechte Dekanat/Mauch

Die Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Passau und die Evangelisch-Lutherische Dekantssynode tagten gemeinsam in spectrum kirche in Passau-Mariahilf. Referent war der renommierte Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge mit dem Thema: "arme.reiche.kirche"  Armut muss wieder zum Thema werden finden (v.l.n.r.) Dr. Peter Seidl, Birgit Geier, Markus Biber, Angelika Görmiller, Professor Christoph Butterwegge, Dr. Claudia Stadelmann-Laski, Dekan Jochen Wilde, Michael Bruns, und Dr. Matthias Haun.
Es gehört zur Tradition von Diözesanrat und Dekanatssynode sich mindestens einmal pro Wahlperiode gemeinsam einem Thema zu widmen. Die gemeinsame Tagung zum Thema“ arme.reiche.kirche“ begann am Freitagabend, 11. Oktober mit einem „social walk“ zur Bahnhofsmission am Hauptbahnhof, der Obdachlosenherberge, Suppenküche und Tafel im Konradinum der Caritas und des Evangelischen Zentrums, wo es um die Kirchliche Allgemeinde Sozialarbeit (KASA) der Diakonie ging. Beeindruckend schilderten die Leiter*innen der Einrichtungen von ihren alltäglichen Aufgaben und Herausforderungen, von der Armut der Menschen ganz unten und deren erschütternden Schicksalen, aber auch von den Mühlen der Bürokratie in denen die Ärmsten der Gesellschaft zerrieben werden. 

Abendandacht "Leave no one behind"
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Eine Abendandacht mit Domdekan Dr. Hans Bauernfeind und Dekan Jochen Wilde in der evangelischen Stadtpfarrkirche beendete den Abend. Seine Gedanken zum Tagesausklang stellte Domdekan Bauernfeind unter das Motto „Leave no one behind – Lass niemanden zurück“. 

„Wer die Armut bekämpfen will, muss sich mit dem Reichtum beschäftigen“ betonte Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge am Samstagvormittag. Am zweiten Tag der gemeinsamen Konferenz von Diözesanrat und Dekanatssynode startete der Kölner Politikwissenschaftler mit einen Impulsreferat zum Thema „arme.reiche.kirche“. Der Reichtum der „Hyperreichen“ sei immens und wachse beständig dank einer jahrzehntelangen Politik nach dem Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben, wer wenig hat, dem wird genommen“. Selbst die Krisen der vergangenen Jahre machte die Reichen noch reicher. So besitzen allein die fünf reichsten Familien in Deutschland rund 250 Mrd. Euro, den 45 reichsten unseres Landes gehört mehr als der ärmeren Hälfte, also mehr als 40 Millionen Menschen. Die Schere zwischen arm und reich gehe immer weiter auseinander. Die Schattenseite dieser Politik für Reiche sind 258.000 Wohnungslose, also Menschen die z.B. bei Freunden und Bekannten irgendwie unterkommen und 41.000 Obdachlose. 

Vortrag von Armutsforscher Christoph Butterwegge
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(v.l.n.r.) Angelika Görmiller und Dr. Matthias Haun moderierten das Gespräch mit dem Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge

Angelika Leitl-Weber von der Bahnhofsmission kennt diese Menschen. Sie erzählte beim Besuch der Einrichtung durch die Tagungsteilnehmer am Vorabend, dem „social walk“, von bis zu 180 Obdachlosen täglich, die Schutz, Wärme und Ansprache suchten. „Es sind immer mehr Frauen ab 65 die obdachlos werden.“ Sie berichtete von Kindern, die in Papiertonnen schliefen und von Menschen die kommen, weil ihre Wohnungen zwar feucht und schimmlig sind, dafür aber ihre Miete überteuert.

 

Bahnhofsmission Passau
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Für täglich bis zu 180 Obdachlose und einsame Menschen ist die Bahnhofsmission Schutzraum und Wärmestube, erzählt die engagierte Leiterin Angelika Leitl-Weber (Mitte) beim „social walk“ von Diözesanrat und Dekanatssynode zum Auftakt der gemeinsamen Tagung.

Früher waren vor allem ältere Menschen arm, inzwischen sind es die Familien und Kinder, sagt Armutsforscher Butterwegge. Relative Armut werde zu absoluter Armut, stellt er fest. Es sei jetzt schon erkennbar, dass in Folge niedriger Löhne, eines zu geringen Mindestlohns und mit der Senkung des Rentenniveaus eine neue Welle von Altersarmut auf uns zu rolle. Die wachsende Armut in Deutschland sei ein Skandal, während zum Beispiel die steuerliche Bevorzugung der wirklich Reichen munter weitergehe. Es werde keine Vermögenssteuer erhoben, der Spitzensatz bei der Einkommenssteuer sei zu niedrig und „Wer heute drei Wohnungen erbt zahlt Erbschaftssteuer, wer 301 Wohnungen erbt, zahlt nichts.“ Wie sich der Transfer des Geldes von unten nach oben auswirkt, und wo dann das Geld fehlt, sieht tagtäglich Roland Kronschnabel von der Kirchlichen Sozialen Arbeit der Diakonie, einer weiteren Station des „social walk“. Zu ihm kommen Menschen, für die eine kaputte Waschmaschine oder die Heizkostenabrechnung zur finanziellen Katastrophe werden. An den Menschen in Not wird gespart, macht er deutlich, dazu kommen immens bürokratische Hürden.

Roland Kronschnabel von der KASA
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Sozialarbeiter Roland Kronschnabel vom Diakonischen Werk berichtet von entwürdigenden Regelungen denen Menschen am Rande der Gesellschaft ausgesetzt sind und die leichtfertig als "Sozialschmarotzer" diffamiert werden.

Aber nicht nur dort wird zugunsten der „Hyperreichen“ gespart, meint Butterwegge. „Das Geld ballt sich immer stärker bei den Reichen zusammen“ und fehle bei der Bahn, beim Erhalt von Straßen und Brücken, der Sanierung der Schulen und bei der Bildung. Sein Fazit: „Armut ist kein individuelles Schicksal, sondern ein strukturelles Problem der Gesellschaft“. Wer die Armut bekämpfen wolle müsse sich mit dem Reichtum beschäftigen. Und noch etwas gibt er den Tagungsteilnehmer*innen zu bedenken: „Die soziale Ungleichheit ist die Mutter aller Probleme und zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ 

 

Gruppenarbeit zum Thema Armut und Reichtum
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In Kleingruppen wurden Fragen zu Armut, Reichtum, Würde, dem Umgang mit Armut, den Handlungsmöglichkeiten und den vielen Gesichtern von Armut bearbeitet.

Nach einer lebhaften Diskussion ist es für den Diözesanratsvorsitzender Markus Bieber eine dringende Aufgabe der Kirchen sich stärker für eine soziale Politik zu engagieren und dafür zu kämpfen eine soziale Marktwirtschaft wieder zu erlangen. Dekan Jochen Wilde sieht ergänzend die Notwendigkeit des Wandels der Kirchen von einer machtvollen zu einer partnerschaftlichen Kirche, um den Menschen beiseite zu stehen.


Nach einem gemeinsamen Mittagessen setzte die Dekanatssynode ihre Tagung mit einem Geschäftsteil fort. Es war die letzte Sitzung dieses Gremiums, das auf sechs Jahre gewählt wurde. Nach den Kirchenvorstandswahlen, die am Sonntag, 20 Oktober stattfinden, wird sich dann im Frühjahr 2025 die neue Dekanatssynode konstituieren. Dekan Jochen Wilde nutze die Gelegenheit für einen Rückblick.

Dankeschön
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(v.r.n.l.) Dekan Jochen Wilde dankt dem Präsidium der Dekanatssynode, Dr. Claudia Stadelmann-Laski, Dr. Matthias Haun und Schriftführerin Imme Bosse mit Blumen und Wein.

Vieles habe sich in der vergangenen Wahlperiode in unserer Gesellschaft, unserem Land, auf der ganzen Welt und auch in der Kirche grundlegend verändert. In dieser Situation, so Wilde, sind wir „gefordert, die Augen offen zu halten für das was Bestand hat und nach dem zu suchen, was an Veränderungen notwendig ist. “Die Zeit war geprägt von der Corona-Pandemie und der Missbrauchsstudie. In Folge der Pandemie gab es einen Einbruch bei der Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesuche. Krisen, Kriege und Klimawandel führten zu einer Verunsicherung der Menschen, die die großen Vereinfacher und Scharfmacher für ihre Zwecke und zur Spaltung der Gesellschaft ausnützten.  Hier habe sich die evangelische Kirche stark für den Erhalt der Demokratie und unserer christlichen Werte engagiert. 
Aufarbeitung, Prävention und Sensibilisierung in Sachen sexueller Missbrauch stehe bei der evangelischen Kirche und dem Dekanat ganz oben auf der Agenda. So habe man sich auf verschiedenen Ebenen wiederholt damit befasst und Mitarbeiter geschult. „Im Dekanat und in den Gemeinden werden derzeit Schutzkonzepte verfasst“. Oberste Priorität habe dabei der Umgang mit Betroffenen. Im kommenden Jahr werden unabhängige regionale Aufarbeitungskommissionen der Landeskirche ihre Arbeit aufnehmen, kündigte Wilde an. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Antrag des Synodalen Rainer Sebastian aus Vilshofen zur Durchsicht aller Personalakten des Dekanatsbezirks auf sexuellen Missbrauch intensiv diskutiert. Dabei stellte sich heraus, dass tatsächlich nur die wenigen Akten der Verwaltungsangestellten im Dekanat selbst aufbewahrt werden, alle andern sind in Händen der Personalabteilung des Landeskirchenamtes in München. Deshalb wurde ein neuer Antrag formuliert und beschlossen. Darin fordert die Dekanatssynode Passau die Landeskirche auf, „sämtliche Personal- und Disziplinarakten der kirchenrechtlich unterstellten Bediensteten im Dekanat Passau innerhalb des nächsten Jahres hinsichtlich sexualisierter Gewalt zu sichten und  die Ergebnisse vollumfänglich an das Präsidium der Dekanatssynode Passau zu kommunizieren.“
In seinem Ausblick auf die Zukunft der Kirche sprach Dekan Wilde von der Notwendigkeit eines „kirchlichen Kulturwandels“. So stehe bei den Pfarrstellen im nächsten Jahrzehnt landesweit ein Kürzungsvolumen von durchschnittlich 25 Prozent im Raum. Auch die Förderung kirchlicher Immobilien werde absehbar massiv gekürzt, die Anzahl der Kirchenkreise und Dekanate reduziert und regionale Pfarrämter geschaffen. “Wir stehen miteinander vor großen und einschneidenden Veränderungen“, machte er deutlich. „Zusammen mit den neu gewählten Kirchenvorsteher*innen, dem neuen Dekanatsausschuss und der neu besetzten Dekanatssynode will ich mich mit allen Kräften dafür einsetzen, unsere Kirche zukunftsfest zu machen.“ 
Zuversichtlich zeigte sich die Vorständin des Diakonischen Werks Passau, Sabine Aschenbrenner in ihrem Bericht, die Diakonie im Zuge der Selbstinsolvenz wieder auf neue Beine stellen zu können. Angestrebt werde eine Vergrößerung durch Kooperation. Kleine Diakonische Werke wie das Passauer hätten unter den Bedingungen staatlicher Entgelte für sozialen Aufgaben keine Chance. Außerdem betonte sie, dass es gelungen sei die Beratungsaufgaben in vollem Umfang zu erhalten und es für die Klient*innen keinerlei Einschränkungen gab.
Dekan Jochen Wilde beendete die Dekanatssynode mit einem Dank an die ehrenamtlichen Synodalen und das Präsidium und mit einem Segen.
Text und Fotos: Hubert Mauch