Passauer Klinikseelsorger erzählen von ihren Begegnungen

KLinikseelsorger
Bildrechte Sandra Hiendl/PNP

Im PNP-Interview erzählen die evangelischen Klinikseelsorger Pfarrer Stephan Schmoll (60) und Pfarrer Philipp Augustin (35) von ihren Begegnungen.


Was macht Ihre Aufgabe als Klinikseelsorger aus? Haben Patienten im Klinikum einen größeren Gesprächsbedarf ?
Stephan Schmoll: Menschen im Klinikum befinden sich oft in einer Krisensituation, in der sie aus ihrer gewohnten Lebensroutine herausgerissen werden und häufig nicht mehr Herr des Geschehens sind. Das geht an die Wurzeln. In Krisensituationen wächst die Bereitschaft, über existenzielle Fragen nachzudenken und auch darüber zu sprechen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Krisen Gesprächsbedarf produzieren.
Philipp Augustin: Ich stelle auch fest, dass die Patienten uns oft mehr anvertrauen, wie schlecht es ihnen geht, was sie wiederum vor ihren Angehörigen aus Rücksicht vor deren Kummer verschweigen. Auch Patienten, die lebensmüde sind, lassen den Gedanken eher bei uns im Gespräch zu Wort kommen. Mit ihren Familien trauen sie sich dagegen oft nicht zu sprechen. Und grundsätzlich muss ich gestehen, dass wir alle Schiss vor dem Krankenhaus haben und unsicher sind, was da auf einen zukommt. Deshalb sind Patienten oft sehr dankbar, wenn wir zu ihnen kommen.

Wie viele Patienten betreuen Sie im Klinikum?
Schmoll: Auf unserer Krankenliste stehen meist zwischen 45 und 60 Patienten. Das macht in etwa knapp zehn Prozent aller Patienten im Klinikum aus. 

Betreuen Sie auch das Personal und Angehörige seelsorgerlich?
Augustin: Ja. Klinikseelsorge heißt nicht ausschließlich Patientenseelsorge. Auch das Personal nimmt oft die Möglichkeit in Anspruch, sich bei uns auszusprechen und auch mal Klartext zu reden und uns zu fragen, wie sie all den Herausforderungen des Klinikalltags gerecht werden sollen. Und es kann auch vorkommen, dass sich Angehörige an uns wenden und das Gespräch suchen. 

Drehen sich die Gespräche immer ums Kranksein oder die Sorgen und Ängste der Patienten? 
Schmoll: Das ist ganz unterschiedlich. Manche Patienten möchten über ihre Ängste oder ihrem Schmerz sprechen. Anderen wiederum ist es ein Bedürfnis, Alltägliches zu thematisieren. Manchmal möchten sie auch einfach nur übers Wetter reden und das ist auch in Ordnung so.

Geht es bei der Seelsorge mehr ums Zuhören oder ums Ratgeben?
Augustin: Erst mehr ums Zuhören und anschließend werde ich dann oft um einen Rat gefragt oder um einen Segen gebeten.
Schmoll: Natürlich ist das Zuhören ganz wichtig. Aber es geht auch sehr ums Hinschauen. Die Patienten wollen gesehen werden, wahrgenommen als ganze Person. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, sie wollen austesten, was wir aushalten?

Inwiefern?
Schmoll: Es gibt zum Beispiel Patienten, die ihre Bettdecke anheben und mir ihre Operationsnarben zeigen. Auch wenn dies oft grenzwertig sein kann, habe ich das Gefühl, sie wollen austesten, ob wir es wert sind, dass sie sich uns anvertrauen. Oft öffnen sie sich anschließend erst für ein Gespräch. 

Apropos Gespräch: Bleibt es dabei oder kommen Sie zu Ihren Patienten auch zum Beten?
Schmoll: Wenn jemand möchte, dass wir mit ihm beten, tun wir dies selbstverständlich. Aber grundsätzlich muss niemand mit uns beten. Wir sind in keinster Weise missionarisch unterwegs. Jeder Patient ist selbstbestimmt. 

Öffnen sich bei der Klinikseelsorge mehr Frauen oder Männer für Gespräche?
Augustin: Große Unterschiede gibt es nicht, aber vielleicht sind die Frauen ein klein wenig gesprächsbereiter als Männer. Zumal sich Männer, wenn mehrere im Zimmer liegen, nicht gerne vor anderen öffnen.
Stephan Schmoll: Wenn sich bei Männern aber einmal die Schleusen öffnen, dann oft gewaltig. 

Wie kommen Sie selbst damit zurecht, wenn Ihnen Patienten ihren Kummer anvertrauen? Nimmt man das nicht mit nach Hause?
Augustin: Ich bin kein Gemeindepfarrer mehr, sondern ausschließlich Klinikseelsorger und das schon ehrenamtlich während meines Studiums. Da hat man sich natürlich Bewältigungsstrategien angeeignet, um sich innerlich abzugrenzen und es nicht mit heim zur Familie zu nehmen. Mir hilft zum Beispiel Sport, aber auch meine Spiritualität. Jeden Tag bete ich nach Feierabend ein paar Minuten und lege alles in Gottes Hand.
Schmoll: Ich bin froh, die Kombination aus meiner Tätigkeit als Seelsorger und Gemeindepfarrer leben zu können. So merke ich bei Taufen oder Hochzeiten immer wieder , wie sehr das Leben pulsiert und das Leben nicht nur Kranksein bedeutet. Darüber hinaus haben wir alle aber auch die Möglichkeit zur Supervision, das heißt zur professionellen geistlichen Begleitung.

Gibt es eigentlich einen großen Unterschied zwischen der katholischen Seelsorge und der evangelischen? Beziehungsweise sind Sie auch seelsorgerisch für katholische Patienten tätig?
Schmoll: Der größte Unterschied besteht darin, wenn es um das Lebensende geht. Die Katholiken haben die Krankensalbung als Sakrament und das Bußsakrament und wir nur die Taufe und das Abendmahl als Sakrament. Aber eine Segnung nehmen wir auch vor. 

Ich erlebe manchmal, wenn der evangelische Patient nicht im Zimmer ist, dass der katholische Bettnachbar mich dann fragt, ob auch er mit mir sprechen dürfe. Natürlich darf er das.
Augustin: Ich habe eine Leidenschaft für die Ökumene, denn in meiner Generation sind die konfessionellen Unterschiede nicht mehr so groß wie das früher war. Es ist mir ein großes Anliegen, in allen Bereichen die Zusammenarbeit zwischen den katholischen und evangelischen Seelsorgern zu verstärken.


Herr Schmoll, Sie sind bereits seit 2005 Klinikseelsorger in Passau. Wie war der Anfang vor 18 Jahren für Sie? Und hat sich in der Zwischenzeit viel verändert?
Schmoll: Damals war ich der erste evangelische Klinikseelsorger und musste sozusagen erst einmal Pionierarbeit bei den Patienten leisten. Es war schön zu erleben, dass die Menschen in der Klinik in einer Krisensituation das Gefühl bekommen haben, ihre Kirche vergisst sie nicht. Das hat viel zur Etablierung beigetragen.

Und warum bekommt das Klinikum nun einen zweiten evangelischen Seelsorger?
Augustin: Das hat mit der Erweiterung des Klinikums, beziehungsweise mit dem Aufstocken der Bettenzahl zu tun. Und natürlich auch mit dem zukünftigen Medizincampus. Wir beide teilen uns die Seelsorge auf und sind meist versetzt da, weil man ja auch in Notfällen oft nachts ins Klinikum kommen muss. Ich habe noch eine weitere Tätigkeit als Klinikseelsorger in Bad Griesbach.

Unsere Interview-Rubrik heißt „Das erste Mal“. Sind Sie selbst auch schon einmal als Patient mit der Seelsorge in Berührung gekommen?
Augustin: Ja, ich wurde während des Studiums einmal operiert und hatte eigentlich kein Bedürfnis, mit einem Klinikseelsorger zu sprechen. Aber dann merkte ich doch, welch gutes Gefühl es war, nicht alleine zu sein und dass mir jemand Gesellschaft leistet.
Schmoll: Mir ging es ähnlich. 2006 war ich nach einer langen Bahnfahrt einmal so dehydriert, dass ich auf der Straße zusammengeklappt bin. Der Notarzt brachte mich ins Klinikum und ich habe es offen gestanden richtig genossen, so umsorgt zu sein und als ich mal stationär lag, von einer Klinikseelsorgerin besucht zu werden.

Foto und Interview: PNP/Sandra Hiendl