Die Pfarrer*innen des Dekanats Passau sind angetan von den vielfältigen Aktivitäten in und um die Glaubenskirche in Simmering. Matthias Geist (vordere Reihe, 2. v.li.) ist der Superintendent der 21 evangelischen Gemeinden in Wien. Vorne in der Mitte befindet sich Anja Kislinger-Lehmann. Sie begrüßte die Passauer Gäste im Innenhof der Glaubenskirche in Simmering.
Anja Kislinger-Lehmann klagt nicht. Sie ist die Pfarramtssekretärin der evangelischen Glaubenskirche in Wien-Simmering und empfängt zusammen mit ihrem Mann Alex – er ist im Kirchenvorstand - die 21 Gäste, Pfarrer*innen mit Partner*innen aus dem Evangelischen Dekanat Passau. Sie vertritt ihre Pfarrerin Anna Kampl und stellt energiegeladen und lebhaft die in den 60ger Jahren erbaute Kirche vor und das neue Konzept der Gemeinde. Dabei hätte sie wirklich Grund zum Klagen: Immer weniger Evangelische, kein Geld, sozialer Brennpunkt.
Sie sind eine offene Gemeinde mit einer offenen Kirche, sagt sie. Die Angebote sind niederschwellig: für Kinder Eis und bemalen der Straße mit Kreide, für alle Kartenspielabende, das Projekt „Warmes Platzerl“ mit Essen, Spielen und Gesprächen - physische Wärme im Winter und soziale Wärme ganzjährig.
Zu älteren Menschen wird mit Besuchen Kontakt aufgebaut, ein Fahrdienst bringt sie zu Veranstaltungen und den Gottesdiensten. Es gibt die äußerst erfolgreiche Aktion „Karten gegen die Einsamkeit“, bei der Schüler*innen alten Menschen Karten schreiben. Die Taufkurse für Flüchtlinge sind gefragt und die jungen unter ihnen werden als ehrenamtliche Helfer rekrutiert.
Ein Sozialkoordinator sorgt für die Vernetzung im Bezirk und entwickelt mit der Gemeinde neue Ideen. Wir sind eine Gemeinde mit Sozialraumorientierung. Es geht darum Kirche nach außen zu tragen. Und nicht zuletzt weht vor der Kirche mitten in Simmering die Regenbogenflagge – „Kirche für LGBTIQ*“, Pfarrerin Kampl trägt im Gottesdienst ein Regenbogenbeffchen.
Die Evangelische Kirche in Wien geht neue Wege. Superintendent und Dekan haben dabei ähnliche Ansätze. Dekan Jochen Wilde (re) bedankt sich bei Superintendent Matthias Geist (li) für die Gastfreundschaft mit einem Geschenk und dem neuen Dekanatsbutton.
„Wir als Minderheit für das Ganze“ ist das Credo der Gemeinde und des Wiener Superintendenten Matthias Geist. Er begleitete die Besuchergruppe zwei Tage lang durch das evangelische Wien und sagt: „Wir 2% Evangelische machen den Unterschied in Österreich.“
Zu kämpfen haben sie mit Kirchenaustritten. Zum einen liege es an den Missbrauchsskandalen in der katholischen Schwesterkirche zum anderen an der eigenen katastrophalen Dankbarkeitskultur und dem Kleben an Althergebrachten. „Uns ist es misslungen, die Lebenswelt der Menschen wahrzunehmen“. Mit unserem bisherigen Angebot bedienen wir ein oder zwei Milieu und grenzen damit viele aus. „Gleichzeitig macht ihr alles und nix g’scheit“, zitiert er Marketingexperten. Als erstes gelungenes Beispiel ein anderes Milieu zu erreichen, erwähnt Superintendent Geist das Projekt „juliandthechurch“ auf Instagram und TikTok.
Die 21 evangelischen Gemeinden in Wien will er neu strukturieren und auf fünf reduzieren. So will er sie zukunftsfähig machen. Der Widerstand dagegen ist groß, aber uns bleibt nichts anderes übrig, sagt er. Da sei Trauerarbeit nötig. Das Kerngeschäft müsse Seelsorge im Sinne von „spiritueller Care-Arbeit“ werden.
Beim Silberwirt gab es abends in entspannter Atmosphäre noch regen Austausch über die Eindrücke des Tages.
„Tolle Anregungen für die eigene Arbeit in den Gemeinden“ kommentierte ein Teilnehmer des dreitägigen Dekanatskonvents bei der Schlussrunde. Gelobt wurde auch die gute Mischung aus Programm und Erholung. So nutzen viele Teilnehmer*innen die Gelegenheit in der freien Zeit die vielfältige Museumslandschaft Wiens zu erkunden und den Tag abends mit einem Zusammensein beim Silberwirt um die Ecke ausklingen zu lassen.
Und hier ein Link zu einen ORF-Beitrag über Pfarrerin Anna Kampl und ihre Glaubenskirche in Wien-Simmering.
Text und Fotos Hubert Mauch