Ein Bild aus der Werkreihe „Petricor“ der spanischen Malerin Verónica Romero. Es ist derzeit in der St. Anna-Kapelle ausgestellt und hat Dekan Jochen Wilde zu seiner Pfingst-Predigt in der Passauer Stadtpfarrkirche inspiriert. Er ruft darin die demokratischen Parteien zu Verständigung und Wahrheit auf. Foto: Kunstverein Passau
„Wir brauchen einen neuen Geist der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit“ so Dekan Jochen Wilde in seiner Predigt am Pfingstsonntag, 19. Mai in der Passauer Stadtpfarrkirche St. Matthäus. Nur dort, wo der Geist der Wahrheit herrsche, hätten Halbwahrheiten und Fake-News, Lügen und falsche Versprechungen keine Chance.
Die Pfingstgeschichte aus der Bibel, wo sich Menschen aus unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlichen Sprachen plötzlich verstehen, erzähle von einem „Kommunikationswunder“. Der Geist von Pfingsten rieche nach Freiheit, nach Verständigung, nach Leben. „Pfingsten ist, wenn es nach Freiheit, nach Offenheit, nach Verständigung riecht.“
Das drückt auch die spanische Künstlerin Verónica Romero in ihren Werken aus, die noch bis 2. Juni in der Ausstellung „Pentecostés“ (auf deutsch: Pfingsten) des Kunstvereins Passau zu sehen ist. Groß-flächige Stoffbahnen bringen in der St. Anna-Kapelle, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stadtpfarrkirche befindet, die „Freude und Glück“ zum Ausdruck, wenn es nach der kalten Jahreszeit an Pfingsten wieder warm und hell ist. Dekan Wilde haben dabei besonders die Werkserie „Petricor“ inspiriert. Das Wort Petricor bezeichnet den Duft ausgetrockneter Erde nach einem erlösenden Regen. Da rieche es nach Leben und Lebendigkeit, nach Pfingsten. Die Künstlerin beschäftigte sich in der Serie allerdings mit der Einsamkeit der Menschen in den großen Städten.
Auch die Menschen seien ausgetrocknet, ausgebrannt und sehnten sich nach Leben und Lebendigkeit, so Wilde in seiner Pfingst-Predigt. Es fehle uns eine zündende Idee, eine gemeinsame Vision, das Bild von einem friedlichen und versöhnten Miteinander. Der Geist von „Anti-Pfingsten“ herrsche in unserem Land und in ganz Europa. Ein Geist der ausgrenze, verunglimpfe und abschotte. Ein solcher Geist zersetze auf Dauer eine Gesellschaft und mache das friedliche Zusammenleben unmöglich. Dekan Wilde forderte die Parteien in den beginnenden Wahlkämpfen dazu auf den Menchen die Wahrheit zuzumuten und „nicht nach dem Mund zu reden, sondern auch die Dinge zu sagen, die niemand hören will, weil sie unangenehm sind.“ Der Geist von Pfingsten sei der Geist der Wahrheit.
Text: Hubert Mauch
Hier die Pfingst-Predigt von Dekan Wilde zum Nachlesen:
19.05.2024 (Pfingstsonntag) – St. Mt. Passau
Pentecostés und Petricor
Liebe Gemeinde,
1) Pentecostés – auf deutsch: Pfingsten. Unter diesem Titel zeigt der Kunstverein Passau eine Ausstellung spanischen Künstlerin Verónica Romero. Bis zum 2. Juni sind ihre Arbeiten nebenan in der St.-Anna-Kapelle zu sehen.
Schon allein der Titel hat mich neugierig gemacht: Pentecostés – Pfingsten! Was könnte mir die Künstlerin womöglich sagen, welche Anregungen mir geben?
Die Arbeiten unter dem Titel Pentecostés zeigen groß-flächige Stoffbahnen, die an Banner und an Fahnen erinnern, wie sie z.B. bei Prozessionen und religiösen Um-zügen mitgetragen werden.
„Freude“ und „Glück“ sollen zum Ausdruck gebracht werden, wenn nach den kalten Monaten die Wärme und das Licht zurückkehren, auch im übertragenen Sinn!
Wenn etwa in Andalusien der Frühling, das Erwachen neuen Lebens in farbenfrohen Prozessionen gefeiert wird.
Mehr noch haben mich Romero’s Arbeiten unter dem Titel Petricor angesprochen. Eine Abbildung davon sehen Sie auf der Vorderseite des Programms. Mit Petricor bezeichnet man den Duft, der von frisch befeuchteter Erde nach einer langen Phase der Trockenheit ausgeht. Ein Geruch den wir hier in Deutschland mit seinen (noch!) verlässlichen Niederschlägen so gar nicht kennen,
der aber im ausgedorrten Andalusien ein sehr geschätzter und geradezu erlösender Duft ist: Petricor
2) Die Serie Petricor entstand in den Jahren 2019/2020 – und beschäftigt sich thematisch mit der Einsamkeit, die etwa in den großen Städten spürbar ist, auch wenn die Straßen voller Menschen sind…
Diese Arbeiten sind geradezu Gestalt gewordene Vorahnung: eine geheimnisvolle Prophezeiung dessen, was in den Zeiten der nachfolgenden Pandemie geschehen ist, als ein Virus ganze Städte, die Straßen, die öffentlichen Plätze leergefegt hat, als die Menschen ausgetrocknet sind, soziale Kontakte abgebrochen und Seelen verkümmert sind, Millionen dahingerafft wurden.
Unter den Nachwirkungen leiden wir bis zum heutigen Tag, noch längst nicht haben sich unsere Gesellschaften von diesem Einschlag erholt…
Petricor – der Geruch feuchter Erde nach endlos langer Trockenheit…
Das Bild auf der Titelseite bildet diese leeren Straßenfluchten ab – verschlossene, abweisende Wände – Hausmauern, die keinerlei Zugang bieten. Ein Aufeinander-zu-Gehen, ein Zueinander-Kommen ist unmöglich…
Und doch zeigt sich an einigen wenigen Stellen ein Hauch von Licht, lässt sich ein Zugang zum Leben erahnen…
Licht und Schatten, Farbenfreude und kaltes Schwarz – für sie, sagt die Künstlerin, sei jedes Werk auch ein „Eintrag in ihr persönliches Tagebuch“…
3) Noch von einem anderen Künstler will ich erzählen: Herbert Grönemeyer, dem Musiker und Songschreiber. Im „Stadion der Träume“ in München, wo die Stadt und die Menschen auf die bevorstehende Fußball-EM eingestimmt werden sollen, da sagte er vor wenigen Tagen:
„Für mich war 2006, das Jahr der Fußball-WM in Deutschland – ein tolles Turnier; das war eine beeindruckende Art, wie sich die Gesellschaft gezeigt hat, mit welcher Gastfreundschaft, mit welcher Offenheit…!“
Zugleich aber merkte er an: „Für mich war 2006 politisch aber auch der Beginn von etwas Bedrückendem: seitdem werden wir verwaltet, aber nicht mehr geleitet, nicht mehr beseelt…
Ich glaube, dass eine Gesellschaft mehr möchte, als nur verwaltet zu werden. Eine Gesellschaft von 80 Mio Menschen braucht eine Seele, eine Kultur…“
Und ich ergänze: Unsere Gesellschaft braucht einen neuen Geist –
● einen Geist, der verbindet und verbindlich wirkt –
● einen Geist, der unsere scheinbar aus den Fugen geratene Gesellschaft zusammen hält –
● einen Geist, der verunsicherte und verzagte Menschen aus ihrer Lethargie, aus ihrer Schwermütigkeit herausreißt…
Und: wir brauchen auch einen neuen Geist der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit – denn nur dort, wo der „Geist der Wahrheit“ herrscht, nur dort haben Halbwahrheiten und Fake-News, haben Lügen und falsche Versprechungen keine Chance!
Nicht umsonst besingen wir den Geist von Pfingsten auch als den „Geist der Wahrheit“…
4) Mir geht es, liebe Gemeinde, gar nicht darum: ob das mit dem von Herbert Grönemeyer terminierten Zeitraum von 2006 an und den damit gemeinten Politiker*innen nun genau stimmt oder nicht, das sei dahingestellt!
Aber womit er zweifellos Recht hat: dass er das Fehlen eines verbindlichen und verbindenden Geistes diagnostiziert. Das Fehlen einer „Seele“…
Petricor – die Menschen sind ausgetrocknet, ausgebrannt, sie sehnen sich nach Leben, nach Lebendigkeit!
Es fehlt eine zündende Idee, eine gemeinsame Vision, das Bild von einem friedlichen und versöhnten Miteinander, hinter dem alle stehen und sich jedermann und jede Frau versammeln kann…
Ein „Weiter so!“ oder ein „Jetzt erst recht!“, das Gerede von „materiellem Wohlstand“ oder „wirtschaftlichem Wachstum“, das hat mit einer solchen Vision, der man sich mit Begeisterung anschließt, mitnichten etwas zu tun!
Aber ich bin der festen Überzeugung, dass uns die Pfingstgeschichte, die Erzählung vom Geistgeschenk weiterhelfen und weiterbringen könnte. Deshalb lohnt es sich, noch einmal genauer hineinzuhorchen…
5) … Menschen aus aller Herren Länder waren da in Jerusalem versammelt. Ein buntes Völkergemisch. Migrantinnen und Migranten aus dem Irak und Iran, aus Syrien und aus der Türkei… Geradezu genüsslich zählt die Apostelgeschichte ihre exotisch klingenden Namen auf…
Während draußen also auf den Straßen ein großes Fest, das jüdische Pfingstfest gefeiert wird –
haben sich die Jünger nach Jesu Tod hinter verschlosse-nen Türen verschanzt, verängstigt, verwirrt, ohne Perspektive. Genauso wie es die verschlossenen Mauern von Verónica Romero zeigen!
„Und plötzlich“ – so heißt es dann – „kommt vom Himmel her ein Brausen wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllt das ganze Haus, in dem sie sich versammelt hatten…“ (Apg. 2,2).
Und dieser Geist bringt ihnen bei, dass Abschottung, Sich-Verkriechen und Selbst-Verbarrikadieren keine Lösung sind, ganz im Gegenteil!
Und sie nehmen sich ein Herz, sie besinnen sich auf das, was Jesus ihnen doch vorgelebt hat;
sie überwinden ihre Angst, gehen aus ihren Mauern und aus sich selbst heraus und auf andere zu!
Sie mischen sich unter die anderen, ihnen fremden Menschen und es geschieht ein Kommunikationswunder: es kommt zu einer großen, wunderbaren Verständigung. Es riecht nach Freiheit, nach Verständigung, nach Leben!
Pfingsten ist, wenn es nach Freiheit, nach Offenheit, nach Verständigung riecht…!
6) Umgekehrt hat Heribert Prantl wohl Recht, wenn er in seiner Pfingst-Kolumne feststellt, dass der Geist, der im Augenblick in unserem Land und in ganz Europa herrscht der „Geist von Anti-Pfingsten“ ist!
● Ein Geist, der der ausgrenzt und auslagert -
● der sich nicht um Verständigung bemüht, sondern diffamiert und verunglimpft;
● der keine Mauern überwindet, sondern die Abschottung perfektionieren und auf die Spitze treiben will!
Wir erleben es in diesen Tagen doch hautnah und mit zunehmender Intensität:
wie und dass ein solcher Geist auf Dauer eine Gesellschaft zersetzt, und das friedliche Zusammenleben unmöglich macht und auch Auswirkungen hat auf das persönliche Befinden und Innenleben! Denn das ist das besonders Perfide dieses Un-Geistes: Er wirkt nicht nur nach außen, er wirkt vielmehr noch nach innen!
Im selben Maße, in dem er Friede und Sicherheit suggeriert und propagiert, im selben Maße schürt er die Angst und befeuert Misstrauen und Untergangsstimmung…
Pfingsten ist die Geschichte von der Überwindung der Angst und nicht von ihrer Instrumentalisierung…!
7) Ich sprach eben davon, dass der Geist von Pfingsten auch als „Geist der Wahrheit“ besungen wird. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, so sagte die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann vor 65 Jahren in einer berühmten Rede. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ und sie ist das wirksamste Mittel gegen Lüge, Verdrängung und Verleugnung!
Und deshalb sind alle demokratischen Parteien und auch jede/r Einzelne von uns, deshalb sind in den beginnenden Wahlkämpfen alle gleichermaßen gefordert:
● den Menschen nicht nach dem Mund zu reden, sondern auch die Dinge zu sagen, die niemand hören will, weil sie unangenehm sind;
● dass es beispielsweise weniger Geld zu verteilen gibt, und dass dies auf keinen Fall zu Lasten und auf Kosten der Schwächsten gehen darf!
● dass der Klimawandel sich nicht einfach wegleugnen lässt und dass der Staat die Aufgabe und die Pflicht hat: die Interessen kommender Generationen gegen die Interessen der heutigen Generation zu verteidigen (Bernhard Suttner, Vortrag 75 Jahre GG).
● dass wir ohne Verzicht die gewaltigen Herausforderungen und Transformationen der Gegenwart nicht werden meistern können, dass uns ein wenig Verzicht aber nicht wirklich schaden wird, ganz im Gegenteil…!
Ich glaube, dass die Menschen in unserem Land, jedenfalls die große Mehrheit, die Wahrheit sehr wohl hören und damit umgehen kann, auch wenn diese zunächst unbequem und schmerzlich ist!
Und das gilt – kleine Fußnote – im Übrigen auch für unsere Kirche: Zur Wahrheit gehört:
● dass auch wir lernen müssen, loszulassen und zu verzichten;
● dass wir Gewohntes und Liebgewordenes aufgeben müssen –
● dass es zu schmerzlichen Entscheidungen kommen wird…
Aber nur so kann es auch zu notwendigen Veränderungen und zu neuen Aufbrüchen kommen!
Nur so kann und wird der Heilige Geist auch in Zukunft in unserer Kirche wirken und sie lebendig halten…
8) Ich komme zum Schluss, liebe Gemeinde. Von Künstlerinnen und Künstlern war heute viel die Rede. Ob sie es sind, die uns in diesen geistlosen Zeiten wieder begeistern, inspirieren müssen?! Ob sie es sind, die uns wieder die Augen öffnen müssen für die Wahrheit!?
Die dafür Sorge tragen, dass es in unserem Land und in unserem Leben immer noch und weiterhin nach Freiheit, nach Schönheit, nach Hoffnung und Zuversicht riecht – eben nach Petricor?!
Möge der Geist von Pfingsten bei uns Einzug halten.
Amen.
Die Pfingstgeschichte
1. Zum Beginn des jüdischen Pfingstfestes waren alle, die zu Jesus gehörten, wieder beieinander.
2. Plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich versammelt hatten.
3. Zugleich sahen sie etwas wie züngelndes Feuer, das sich auf jedem Einzelnen von ihnen niederließ.
4. So wurden sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und fingen an, in fremden Sprachen zu reden, jeder so, wie der Geist es ihm eingab.
5. In Jerusalem hatten sich viele fromme Juden aus aller Welt niedergelassen.
6. Als sie das Brausen hörten, liefen sie von allen Seiten herbei. Fassungslos hörte jeder die Jünger in seiner eige-nen Sprache reden.
7. »Wie ist das möglich?«, riefen sie außer sich. »Alle diese Leute sind doch aus Galiläa,
8. und nun hören wir sie in unserer Muttersprache reden;
9. ganz gleich ob wir Parther, Meder oder Elamiter sind. Andere von uns kommen aus Mesopotamien, Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia,
10. aus Phrygien, Pamphylien und aus Ägypten, aus der Gegend von Kyrene in Libyen und selbst aus Rom.
11. Wir sind Juden oder Anhänger des jüdischen Glau-bens, Kreter und Araber. Doch jeder von uns hört diese Menschen in seiner eigenen Sprache von Gottes großen Taten reden!«
12. Erstaunt und ratlos fragte einer den anderen: »Was soll das bedeuten?«
13. Einige aber spotteten: »Die haben doch nur zu viel getrunken!«
14. Da erhob sich Petrus mit den anderen elf Aposteln und rief der Menge zu: »Hört her, ihr Leute aus Judäa und ihr Einwohner von Jerusalem! Ich will euch erklären, was hier geschieht.
15. Diese Männer sind nicht betrunken, wie einige von euch meinen. Es ist ja erst neun Uhr morgens.
16. Nein, hier erfüllt sich, was Gott durch den Propheten Joel vorausgesagt hat. Bei ihm heißt es:
17. ›In den letzten Tagen, spricht Gott, will ich die Men-schen mit meinem Geist erfüllen. Eure Söhne und Töch-ter werden aus göttlicher Eingebung reden, eure jungen Männer werden Visionen haben und die alten Männer bedeutungsvolle Träume.
18. Allen Männern und Frauen, die auf mich hören, will ich in jenen Tagen meinen Geist geben, und sie werden in meinem Auftrag prophetisch reden.
Apostelgeschichte 2, 1-18