Jesus hätte sich dazugesetzt!

Nicht-Abendmahlsbild
Bildrechte Dekanat/Mauch

Das Nicht-Abendmahlsbild bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele erhitzt die Gemüter. Auch das Evangelische Sonntagsblatt nahm sich auf Seite 3 der Ausgabe vom 4. August des Themas unter der Überschrift „Sturm im olympischen Wasserglas“ an, nachdem besonders kritische Töne vom Passauer Bischof Stefan Oster und aus dem Vatikan an einer regenbogenbunten Szene bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris zu vernehmen waren. Sie sahen darin die Darstellung eines queeren Abendmahls. Es war von Blasphemie die Rede und sogar der Sportbeauftragte der EKD Thorsten Latzel äußerte sich kritisch.
Dekan Jochen Wilde hat sich dazu in der Rubrik „Gedanken zum Sonntag“ der Wochenendausgabe der Passauer Neuen Presse vom 3. August seine ganz eigenen Gedanken über das vieldiskutierte „Nicht-Abendmahlsbild“ bei der Pariser Olympia-Eröffnungsfeier gemacht. Er wurde mehrfach darauf angesprochen, deshalb veröffentlichen wir den Text an dieser Stelle zum Nachlesen.

 

Vorlage für Thomas Jolly, dem Regisseur der olympischen Eröffnungsfeier war das Gemälde "Festmahl der Götter" von  Jan van Bijlert. Das Original hängt im Musée Magnin in Dijon.

 

Gedanken zum Sonntag – 2024-08-04

Jesus hätte sich dazugesetzt!
Hat sich eigentlich schon mal jemand in die Gefühlswelt queerer Menschen hineinversetzt, wenn abfällig von einem „queeren Abendmahl“ gesprochen wird? Wenn sie im selben Atemzug mit „Verhöhnung und Verspottung des Christentums“ genannt werden – oder gar von Blasphemie die Rede ist? Wenn einige wenige Kirchenvertreter das Fehlen „wertschätzender Sensibilität gegenüber gelebter Religion“ monieren – wie steht es dann um die Sensibilität gegenüber Angehörigen der LGBTQ-Community?
Ganz ehrlich: Als während der grandiosen Eröffnungsfeier der Pariser Olympiade queere Models und Performer über einen Laufsteg mit rotem Teppich getanzt sind – da habe ich keine Sekunde an einen Tisch oder gar das Abendmahl denken müssen. Thomas Jolly, der Regisseur der Eröffnungsfeier, hat wiederholt darauf hingewiesen, sich nicht an da Vincis berühmtem Abendmahlsbild aus dem 15. Jahrhundert angelehnt zu haben; vielmehr sei der antike Mythos eines Götterfestes auf dem Olymp Quelle seiner Inspiration gewesen – irgendwie ja auch passend zu Olympia!
Aber wenn wir schon mal dabei sind – und das Abendmahl gerade in (beinahe) aller Munde war und ist: Wäre das nicht ein willkommener Anlass, sich Gedanken zu machen über die Bedeutung und den provokativen Gehalt des Abendmahls, dieses wertvollen christlichen Rituals?!
Die Tischgemeinschaft mit Jesus ist für mich Sinnbild und Ausdruck von Gemeinschaft und Versöhnung, von „Einheit trotz Unterschiedlichkeit“, um das olympische Motto („unity in diversity“) aufzugreifen. Da sitzen eben keine Heiligen, sondern Menschen wie du und ich: fehlbar und verletzlich, Versager und Verräter – und zugleich hungernd nach Anerkennung und Wertschätzung, dürstend nach Geborgenheit und Zugehörigkeit. Jede und jeder ist da willkommen, unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder individueller Lebensgestaltung! Ausgrenzung und Missachtung haben an Jesu Seite keinen Platz! Die christliche Tugend der Gastfreundschaft manifestiert sich in dieser bunten (Tisch-)Gesellschaft. „Übt Gastfreundschaft!“ heißt es lapidar in der Bibel (Römerbrief, Kap. 12 V. 13).
Für mich war – um auf die Eröffnungsfeier zurückzukommen – die Show am Laufsteg ein wohltuend mutiges, vielleicht sogar notwendiges Zeichen; eine Hommage an Lebensfreude und Leichtigkeit, an Weltoffenheit und Vielfalt. „Wir wollten zeigen, dass wir dieses große, inklusive, offenherzige, solidarische Wir so wahnsinnig nötig haben“, so Thomas Jolly. Gerade in Zeiten wie diesen, da die Spalter und Menschenverächter sich immer ungenierter gebaren.
Und wenn die eine oder der andere daran Anstoß genommen haben sollte – ist es nicht das Vorrecht, ja die vornehmste Aufgabe von Kunst: anstößig zu sein, hinzuweisen auf Missstände, Sensibilität und Solidarität mit denen einzufordern, die beleidigt, beschimpft, diskriminiert oder gar bedroht werden?!
Ich bin mir jedenfalls sicher: Jesus hätte seine Freude gehabt an diesem Diversitätsspektakel –
er hätte sich zu dieser bunten Gesellschaft dazugesetzt!

Dekan Jochen Wilde, Evang.-Luth. Dekanat Passau