Über das Helle im Dunkeln – ein Gespräch über das Erblinden mit Simon Schuchmann
„Mit offenen Augen“ – so lautet das derzeitige Schwerpunktthema im Simbacher Gemeindeboten. Dass die Sehkraft nachlässt oder Menschen gar nicht sehen können, gehört zur traurigen Realität unseres Lebens.
Im untenstehenden Interview mit Simon Schuchmann wird aber deutlich: Auch wer sein Augenlicht verliert, kann dennoch mit offenen Augen in die Welt blicken. Simon Schuchmann ist 28 Jahre alt und lebt in Stubenberg.
Christian Muschler: Lieber Herr Schuchmann, Sie sind ja nicht von Geburt an blind.
Simon Schuchmann: Nein, genau genommen erst seit vier Monaten. Es hat sich aber bei mir schon angedeutet, dass ich einmal erblinden werde. Vor etwa vier Jahren ist mir gesagt worden, dass mein Sehnerv immer mehr an Leistung verlieren wird. Ich war deshalb auf meine Erblindung eingestellt. Sie ist mir daher leichter gefallen, als wenn ich plötzlich erblindet wäre.
Christian Muschler: Nachdem Sie wussten, dass Sie aller Wahrscheinlichkeit nach erblinden werden, haben Sie sich darauf vorbereitet?
Simon Schuchmann: Meine Sehkraft hat stufenweise nachgelassen. Ich musste daher damit rechnen, dass sie abrupt nachlassen könnte. Ich hatte dann noch circa dreieinhalb Jahre, in denen ich mich mit der Braille-Blindenschrift beschäftigte und versuchte, mich mental auf die Erblindung einzustellen.
Christian Muschler: Nun wissen Sie, wie es ist, wenn man sieht. Der Verlust der Sehkraft ist für Sie bestimmt mit Trauer verbunden. Denken Sie, dass Ihre Trauer größer ist, als bei jemandem, der von Geburt an blind ist und nie hat sehen können?
Simon Schuchmann: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Wenn man weiß, was es Schönes in der Welt zu sehen gibt, ist die Trauer darüber, das alles nicht mehr sehen zu können, natürlich groß. Aber dadurch, dass ich sehen konnte, habe ich ein ganz anderes Verständnis von der Welt. Zum Beispiel weiß ich, wie eine Drehtür aussieht und kann mich daher in ihr entsprechend verhalten. Darum bin ich nur dankbar, dass ich sehen konnte.
Christian Muschler: Hat sich infolge Ihrer Erblindung etwas verändert im Hinblick darauf, wie Sie wahrnehmen?
Simon Schuchmann: Ja, das stimmt. Ich merke derzeit, wie sich meine Sinne schärfen. Ich rieche zum Beispiel total gut. Ich meine auch, dass ich mehr höre. Einfach weil ich mehr auf das Hören fokussiert bin. Das bewusstere Wahrnehmen ist für mich aber ein Prozess. Das trainiert sich selbst mit der Zeit und wird sich noch weiterentwickeln.
Christian Muschler: Sie sind nun auf Hilfe angewiesen. Was empfinden Sie als hilfreich?
Simon Schuchmann: Eine große Hilfe ist für mich die Community der Blinden. Die blinden Menschen kennen sich untereinander. Wir sind zum Beispiel über den Bayerischen Blindenbund vernetzt. Diese Verbundenheit untereinander gibt mir viel. In Kürze nehme ich an einer Reha des Berufförderwerkes in Würzburg teil. Dort werden blinde und sehbehinderte Menschen in ihren Techniken ausgebildet. Dankbar bin ich auch für Beratungsangebote – zum Beispiel von der Organisation „Blickpunkt Auge“. Die Mitarbeiter dort haben mir geholfen, Anträge auszufüllen.
Christian Muschler: Und wie ist es bei der Arbeit?
Simon Schuchmann: Nach meiner Gymnasialzeit am Tassilo und meinem Studium habe ich eine Ausbildung bei Wacker im IT-Bereich abgeschlossen. Ich muss sagen: Die Hilfsbereitschaft dort ist überragend. Die Kolleginnen und Kollegen helfen mir, ohne dass ich groß um Hilfe bitten müsste. Wenn ich zum Beispiel in die Kantine gehe, bietet sich ganz selbstverständlich jemand an, mich dorthin zu begleiten. Und die Bedienungen in der Kantine erkennen mich gleich, fragen mich, was ich essen will, und bringen das Essen mir an den Platz.
Christian Muschler: Haben Sie auch eine Hilfsbereitschaft erfahren, die Sie negativ empfunden haben?
Simon Schuchmann: Nein, überhaupt nicht. Was mich aber stört, ist Mitleid. Manchmal merke ich, wie Leute vor mir stehen bleiben und dann sagen: „Oh weh, der Ärmste! Der hat`s aber auch nicht leicht! Schau dir den mal an!“ Natürlich will die betreffende Person mich nicht verletzen, aber so etwas tut mir schon weh. Manchmal sprechen mich Leute an und sagen: „Du tust mir so leid. Ich weiß nicht, wie du das schaffst.“ Aber ich bin viel zu gut drauf, als dass ich so etwas hören möchte. Mitleid habe ich wirklich nicht nötig.
Christian Muschler: Was empfehlen Sie sehenden Menschen, die Ihnen helfen wollen und dabei unsicher sind?
Simon Schuchmann: Einfach ansprechen und fragen, ob Hilfe nötig ist. Wenn es nicht gerade Mitleidsbekundungen sind. Ich bin sehr offen und dankbar, wenn ich von fremden Menschen angesprochen werde. Ich bin schon oft gefragt worden: „Darf ich Sie wohin bringen? Kann ich Ihnen helfen?“ Nicht immer habe ich dann Hilfe gebraucht. Dann sage ich eben: „Nein danke! Alles gut!“ Also - einfach fragen, wenn man meint, dass Hilfe nötig ist. Ich finde das richtig super, dass viele Menschen hilfsbereit sind. Aber was mich – wie gesagt – stört, ist Mitleid. Bemitleidet zu werden, ist wirklich nicht die Rolle, die ich für mich sehe. Was wir Blinde und auch andere Menschen mit einer Behinderung Tag für Tag meistern, verdient nicht Mitleid, sondern Bewunderung. Ich sehe meine Rolle eher darin, ein Vorbild zu sein: Meinen jüngeren Brüdern zum Beispiel oder auch meinen Freunden und Bekannten. Vielleicht ist es ihnen ja eine Hilfe, wenn es ihnen mal schlecht geht zu sagen: „Wie war das damals mit dem Simon, als der sein Augenlicht verloren hat? Der hat ja mit dem Augenlicht nicht den Mut verloren!“ Und außerdem will ich ein normales Leben führen - wer weiß, vielleicht auch mit einer eigenen Familie. Mit Mitleid kann ich aus all den Gründen nichts anfangen.
Christian Muschler: Was würden Sie Menschen empfehlen, die einen schweren Schicksalsschlag erfahren haben?
Simon Schuchmann: Zuerst einmal: Trauer ist nichts, dessen man sich schämen muss. Es ist ganz normal, dass man eine Zeit lang trauert. Aber man darf sich auch dessen bewusst sein: Wenn man sich dazu Zeit lässt, umso leichter fällt es einem, die neue Situation anzunehmen und das Beste aus ihr zu machen.
Christian Muschler: Darf ich Sie fragen, was Kraftquellen in Ihrem Leben sind?
Simon Schuchmann: Ganz wichtig – meine Familie! Ich habe zusammen mit meinen jüngeren Brüdern eine schöne Kindheit in meinem Elternhaus erleben dürfen. Ich bin mir sicher: Durch mein Elternhaus ist mir die Fähigkeit gegeben worden, immer wieder aufzustehen. Dass die Familie hinter einem steht und ich Vorbild sein kann, gibt mir viel Kraft. Eine wichtige Motivationsquelle ist für mich außerdem der Sport. Ich laufe mehrmals in der Woche auf dem Laufband. Oder ich gehe mit einem meiner Brüder draußen laufen. Auch Musik tut mir gut: Es ist einfach schön, morgens in die Tasten zu hauen. Für wichtig halte ich außerdem, Hobbies zu haben. Ich selber bin großer Bayern-Fan. Den Bundesligaspieltag zu verfolgen, ist für mich ein Highlight der Woche. Überhaupt ist es wichtig, weiter am Leben teilzunehmen. Neulich war ich zum Beispiel mit Freunden auf einer Party. Davon zehrt man dann natürlich.
Christian Muschler: Ich danke Ihnen für das Gespräch!