An diesem letzten Samstagnachmittag im November ist es kalt, die Temperaturen liegen knapp über null. Aber den Teilnehmer*innen der Waldkirche in der Waldwunderwelt in Bad Griesbach macht das nichts aus. Sie sind (fast) alle kältefest gekleidet. Auf einer Lichtung nicht weit vom Wanderparkplatz am Ende der Hochstraße haben sie sich versammelt und feiern die Schöpfung Gottes. Kurseelsorgerin Dr. Tatjana Schnütgen heißt die Teilnehmer*innen in der Kathedrale des Waldes, wie sie die Lichtung inmitten des Waldes nennt, willkommen.
Die Waldkirche beginnt mit Stille, es folgt ein Körpergebet mit bewusstem ein- und ausatmen und bewegen der Arme. Dazu werden Gebetsverse gesprochen im Rhythmus des Atmens und der Armbewegungen. Es ist ein zu sich selbst kommen, seine eigene Lebendigkeit wahrzunehmen, erklärt Pfarrerin Schnütgen. Im Wechsel wird Psalm 24 über den König der Herrlichkeit gesprochen, ein Lied gesungen, bevor eine biblische Lesung folgt.
Bei der Waldkirche geht es um spirituelle Erfahrung. Sie ist Teil der „Church of the Wild“, einer spirituellen Bewegung in der evangelischen Kirche, die hervorhebt, dass Menschen Gottes Gegenwart auch jenseits von Gebäuden, Traditionen und festgelegten Strukturen erfahren können. In Wäldern, auf Feldern, an Flüssen oder Seen werden Körper und Sinne aktiv in die Gottesdienste und spirituellen Übungen einbezogen, wie der Kontakt zur Erde, das Spüren des Windes, das Rauschen der Blätter und das Hören von Vogelstimmen. Die Begegnung mit der Natur sei eine geistliche Übung, die den Glauben erdet, sagt die Kurseelsorgerin. Waldkirche sei eine Spielart des Gottesdienstes im Grünen. Sie sei besonders und kreiere mitten im Wald einen Raum zum Feiern, nicht nur in, sondern mit der Schöpfung. Seit Oktober bietet Pfarrerin Schnütgen diese Schöpfungsandacht einmal pro Monat an.
Die Waldkirche kommt ohne Predigt aus. Nach dem ersten Teil machen sich die Teilnehmer*innen für 30 Minuten auf den Weg den Wald alleine zu durchstreifen. „Wandern und Wundern“ ist zentraler Bestandteil. Dabei gilt es die Natur zu entdecken, zu riechen, in die Stille zu hören und auch die Kälte zu spüren. Die Sinne schärfen sich: Zarte Geräusche wie das leichte Rauschen der letzten trockener Blätter an den Zweigen, Glockengeläut in der Ferne oder das leise Piepsen eines Vogels, die Bucheckerl am Boden und das verschiedene Grün der Mose an den Bäumen werden plötzlich wahrgenommen. Aber auch der Blick nach oben in die Baumkronen und in den Himmel bringen zum Nachdenken. Von solchen Wahrnehmungen berichteten die Teilnehmer*innen nach ihrer Rückkehr.
Dann doch etwas durchgefroren schließt der Gottesdienst in der Kathedrale des Waldes mit Lobgebeten, Klagen und Bitten, dem Vaterunser, dem Lied „Go Gently, Go Lightly – Geht achtsam, geht heiter“ und dem Segen. Die nächste Waldkirche findet am 28. Dezember um 15 Uhr statt. Menschen mit und ohne Konfession sind willkommen. Mehr über „Church of the Wild“ finden sie unter www.ganzhier.de
Text und Foto: Hubert Mauch